19.04.18

[Rezension] Ein fauler Gott | Stephan Lohse




Sommer 1972. Benjamin ist gerade elf geworden. Nächstes Jahr wird er ein Herrenrad bekommen, eine Freundin und vielleicht eine tiefe Stimme. Doch dann stirbt sein kleiner Bruder Jonas. Die Mutter weint nachts. Ben kommt nun extra pünktlich nach Hause und spielt ihr auf der C-Flöte vor. An Jonas denkt er immer seltener – denn Ben hat mit dem Leben zu tun.
(Text & Cover: © Suhrkamp; Foto: © N. Eppner)



Wie lebt man das eigene Leben weiter, wenn ein geliebter Mensch stirbt? Ich wage es mich so weit aus dem Fenster zu lehnen, dass keine Lücke so weit auseinander klafft, wie der Verlust des eigenen Kindes. Unvorstellbar. Unbegreiflich. Für Eltern, aber auch für Geschwister, vor allem dann, wenn sie noch sehr jung sind. Dem Tod noch nie vorher begegnet sind und überhaupt keine Ahnung davon haben, was Tod wirklich bedeutet. Was bedeutet er denn überhaupt?

Für Benjamin bedeutet der Tod in erster Linie, dass sein Bruder Jonas nicht mehr da ist. Dass sein Zimmer leer ist, dass er Zuhause nun alleine spielen muss, aber auch, dass er nun noch mehr auf Mama aufpassen muss, als vorher schon. Den Papa spielt er ja schon länger. Seit der echte Papa ausgezogen ist. Aus einem Quartett wurde ein Trio, ein Duo. Was tun mit der Lücke, die Jonas hinterlassen hat? Darf man seinen Platz am Tisch besetzen? Darf man sein Zimmer betreten? Darf man weiterhin mit ihm reden? Wie oft muss man an ihn denken? Darf man seinen Namen an ein Tier vergeben? Und wie geht das überhaupt mit dem Traurig sein?

Stephan Lohse hat ein Buch geschrieben über Trauer, Verlust und Einsamkeit. Unabdingbar verbunden mit dem Weg zurück in den Alltag. Der schwer ist. Ganz klar. Für Ruth noch mehr, als für Ben. Das Leben zieht ihn mit. Dreht sich weiter. Er muss zur Schule, hat Freunde, denen der Tod völlig unbekannt ist und daher wenig Aufmerksamkeit bekommt, er wächst körperlich wie geistig und das ungewollt und unaufhaltsam. 

Lohses Schreibe ist poetisch und nachdenklich. Aber auch stark und von einem gewissen Humor gekennzeichnet, der sich oftmals in der Situation oder zwischen den Zeilen finden lässt. Geschickt wählt er Bens Perspektive als Hauptfokus auf die Geschichte. Dadurch wird sie von einer gewissen Naivität, aber auch einer Kindern ganz eigenen Schläue geprägt. Deutlich wird wie anders der Blickwinkel von Kindern auf viele Dinge ist. So haben Jonas und Ben zum Beispiel über Themen gesprochen, die sie im Gespräch mit den Eltern nicht relevant fanden oder sich einfach nicht getraut haben anzusprechen. 

Der Verlust von Jonas hat mich an einigen Stellen sehr traurig gemacht. Ich konnte viele Reaktionen der Mutter nachvollziehen, ihr schwanken zwischen Wut und Hoffnungslosigkeit, zwischen Trauer und Schuld. Bens Verhalten, seinen Blickwinkel auf Jonas' Tod und sein eigenes Fortsbestehen hingegen hat etwas sehr Tröstliches, dass aus einem Roman über einen tragischen Todesfall eine Geschichte über Hoffnung macht.

Buchinfo:

Suhrkamp (2017)
336 Seiten
Hardcover
22,00 €
(ET Taschenbuch: Mai 2018)

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Rezension: © 2018, Nanni Eppner

2 Kommentare:

  1. Sicherlich lesenswert und schön zum NAchdenken, aber für meinen Geschmack ein zu trauriges Buch.
    Mit freundlichen Grüßen
    Joel von Büchervergleich.org

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    1. Ja, es ist ein sehr nachdenklich stimmendes Buch.

      Liebe Grüße,
      Nanni

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